Bericht über das Leben im Schollheim: Willi Müller-Basler
"Was hat das Schollheim eigentlich mit mir angestellt? Fast 50 Jahre später kann man erkennen, dass eigentlich „das Schollheim“ mich zu dem gemacht hat, der ich heute bin."
Wil­li Müller-Basler
Scholl­heim­be­woh­ner von Okto­ber 1972 bis Dezem­ber 1975

Um die Scholl­heim­ge­schich­te von mir rich­tig bewer­ten zu kön­nen, muss ich erst ein­mal in die Zeit davor zurück­bli­cken – denn das Scholl­heim wur­de ja mit genau die­sem Erfah­rungs­ho­ri­zont „gelebt”.

Ich bin auf­ge­wach­sen in der Kugel­la­ger­stadt Schwein­furt, logisch war also eine Leh­re als Maschi­nen­schlos­ser und Elek­tri­ker, noch mit 45 Stun­den­wo­che und Sams­tags­ar­beit. Der zwei­te Bil­dungs­weg lock­te und dann durf­te ich glatt auf Son­der­ge­neh­mi­gung Maschi­nen­bau stu­die­ren – damals noch an einem soge­nann­ten Poly­tech­ni­kum in Schwein­furt. Die Olym­pia­de zog mich nach Mün­chen – 1972 in den Semes­ter­fe­ri­en als Elek­tri­ker zur Ket­ten­fa­brik IWIS – um dort erst ein­mal in einer Gast­ar­bei­ter­ba­ra­cke unter zu kom­men. Das war damals halt so, gro­ße Gedan­ken wie es wei­ter­ge­hen soll­te, habe ich mir nicht gemacht.

Die Sems­ter­fe­ri­en waren schnell zu Ende, der Job damit auch und das nächs­te Semes­ter war­te­te – aber wohin nun, wo woh­nen? Der Tipp eines Stu­di­en­freun­des war das Scholl­heim – eine Not­be­wer­bung war not­wen­dig und ein Auf­nah­me­ge­spräch folg­te inner­halb von Tagen. Tat­säch­lich – die dras­ti­sche Schil­de­rung zu eini­gen Tage von mir in einem rus­si­schen Gefäng­nis und wohl auch mei­ne Eigen­schaft als „ech­ter Pro­le­ta­ri­er“ sorg­te dafür, dass ich pünkt­lich zum Semes­ter­be­ginn ins Scholl­heim ein­zie­hen konn­te – dazu noch direkt in ein Ein­zel­zim­mer im Haus 1. Dan­ke an den Heim­rat von damals!

Vor­her eher ein Ein­zel­gän­ger, der die Wis­sens­lü­cken für das Stu­di­um durch har­tes Büf­feln besei­tig­te, ent­deck­te ich nun das äußerst lehr­rei­che und gesel­li­ge Leben in einem Stu­den­ten­wohn­heim. Eigent­lich hät­te ich gar kein eige­nes Zim­mer gebraucht, die Gemein­schafts­kü­che, das Foto­la­bor, die Bar – das Stu­di­um des Maschi­nen­baus war unwich­tig gewor­den – nun wur­de das Wohn­heim und sei­ne Bewoh­ner in allen Facet­ten stu­diert, Vor­le­sun­gen und Prü­fun­gen wur­den zur Neben­sa­che. Aber – frei nach Edith Piaf: Non, je ne reg­ret­te rien – es war eine gute Zeit, die mir Freun­de fürs Leben schenk­te. Die­se Freun­de bewähr­ten sich bei den vie­len Höh­len­tou­ren die wir vom Scholl­heim aus unter­nah­men, meist in dre­cki­ge, frän­ki­sche Höh­len oder alpi­ne Groß­höh­len. Die Wasch­ma­schi­nen des Scholl­hei­mes hat­ten danach Schwerst­ar­beit zu leis­ten – und das Schrub­ben von leh­mi­gen Berg­sei­len im Wasch­raum wur­de nicht von allen Schol­lis als nor­mal ange­se­hen. Und auch das Bad mit eige­ner Bade­wan­ne in der Tutoren­woh­nung hat­te da sei­ne Vorteile.

Die­ses Lot­ter­le­ben wur­de nur kurz für mei­ne Diplom­prü­fun­gen unter­bro­chen, die Diplom­ar­beit mach­te ich – sehr unty­pisch als Maschi­nen­bau­er – an einer Rechen­an­la­ge, einer Zuse Z23. Plötz­lich war ich mit 22 Jah­ren (!) Diplom­in­ge­nieur und hät­te aus dem Scholl­heim aus­zie­hen müs­sen. Aber glück­li­cher­wei­se hat­te ich ein gewis­ses – Scholl­heim-typi­sches – Behar­rungs­ver­mö­gen. Noch ein paar Semes­ter TU dran­hän­gen – kann doch nicht scha­den! – mit dem Ziel im Hin­ter­kopf, das Stu­di­um des Scholl­heim­le­bens wei­ter­füh­ren zu kön­nen. Bis zu einer denk­wür­di­gen Niko­laus­fei­er 1974 in der Bar: Hier lern­te ich eine ange­hen­de Archi­tek­tin aus dem Haus 2 näher ken­nen und lie­ben: Ulla Bas­ler. Plötz­lich wur­den also (Lebens-) Zie­le neu defi­niert und um wenigs­tens ihre Diplom­ar­beit kon­zen­triert abschlie­ßen zu kön­nen, war der Aus­zug aus dem Scholl­heim Ende 1975 fällig.

Was hat das Scholl­heim eigent­lich mit mir ange­stellt? Fast 50 Jah­re spä­ter kann man erken­nen, dass eigent­lich „das Scholl­heim“ mich zu dem gemacht hat, der ich heu­te bin. Die Mit­be­woh­ner aus unter­schied­li­chen Län­dern und ver­schie­de­nen Stu­di­en­zie­len haben mir die ein­di­men­sio­na­le Sicht eines Tech­ni­kers zu einer mehr­di­men­sio­na­len Sicht und viel Ver­ständ­nis für ande­re Kul­tu­ren und deren Denk­wei­sen geschenkt. Dass ich dabei Freun­de fand, die mich bis heu­te durchs Leben beglei­tet haben und als Bes­tes, eine tol­le Frau…. 

Ich bin in Mün­chen geblie­ben – denn Ich habe damals, im Som­mer 1972  ver­dammt viel Glück gehabt ins Scholl­heim zu kom­men. Und ich bin bis heu­te dem Stu­di­en­freund dank­bar, der mir den Weg ins Scholl­heim gezeigt hat. 

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