Geschichte des Vereins

Hin­ter dem Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V. steht der 1956 gegrün­de­te, gleich­na­mi­ge Ver­ein (Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V.). Er ist Eigen­tü­mer des Wohn­heims und ver­wal­tet es seit des­sen Eröff­nung 1960.

Geschichte des Vereins

Hin­ter dem Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V. steht der 1956 gegrün­de­te, gleich­na­mi­ge Ver­ein (Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V.). Er ist Eigen­tü­mer des Wohn­heims und ver­wal­tet es seit des­sen Eröff­nung 1960.

Die Ausgangssituation (1946 bis 1956)

Luftaufnahme im Bereich Schwere Reiter Straße im Jahr 1945, das Grundstück des Schollheims ist rot markeirt. Quelle: StaMü FS-1945–7125

Nach dem zwei­ten Welt­krieg waren 50% der Gebäu­de der Stadt Mün­chen zer­stört. Infol­ge­des­sen waren etwa 300 000 Men­schen obdach­los. Als im April 1946 die Tech­ni­sche Hoch­schu­le (TUM) und im Juni 1946 die Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät (LMU) ihren Lehr­be­trieb wie­der auf­nah­men, war nicht der Bau von Stu­den­ten­wohn­hei­men das Gebot der Stun­de. Viel pro­ble­ma­ti­scher war das Schaf­fen von Wohn­raum all­ge­mein, um die größ­te Not zu besei­ti­gen. Um die­ses Ziel zu errei­chen, schlos­sen die Ver­ga­be­richt­li­ni­en für den sozia­len Woh­nungs­bau die Ver­mie­tung von Zim­mern an Stu­die­ren­de aus. Gleich­zei­tig stieg aber die Zahl der Stu­die­ren­den an bei­den Uni­ver­si­tä­ten, 1949 waren es bereits etwa 15 000. Stei­gen­de Stu­die­ren­den­zah­len ver­grö­ßer­ten nun die Woh­nungs­not in Mün­chen zusätz­lich. Zu Beginn der 50er Jah­re hat­te sich die Situa­ti­on wei­ter zuge­spitzt. Da die För­de­rung von Wohn­plät­zen für Stu­die­ren­de ange­sichts der all­ge­mei­nen Woh­nungs­not kei­ne Prio­ri­tät in der Woh­nungs­po­li­tik haben konn­te, war eine Ver­bes­se­rung der Situa­ti­on nur durch pri­va­te Initia­ti­ve möglich.

Die Vereinsgründung (1956)

Damals wie heu­te soll­ten auch Kin­der nicht wohl­ha­ben­der Eltern eine Chan­ce bekom­men, eine Hoch­schu­le besu­chen zu kön­nen. Dafür war und ist Vor­aus­set­zung, dass bezahl­ba­rer Wohn­raum vor­han­den ist.

Um die­sen zu schaf­fen, wur­de am 13. Juni 1956 in einem Neben­raum des Cafés Ode­on am Münch­ner Ode­ons­platz der gemein­nüt­zi­ge Ver­ein „Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V.“  gegrün­det. Ein­zi­ges Ziel der Ver­eins­sat­zung: der Bau und Unter­halt eines Studentenwohnheims.

Die Idee zum Bau eines Stu­den­ten­wohn­heims war in der Arbeits­ge­mein­schaft Sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Aka­de­mi­ker ent­stan­den. Die Anre­gung zur Grün­dung eines Ver­eins kam von Dr. Hans-Jochen Vogel, Mit­glied der SPD und des Sozia­lis­ti­schen Deut­schen Stu­den­ten­bun­des (SDS). Der damals 30-Jäh­ri­ge war Amts­rich­ter und Mit­ar­bei­ter in der Staats­kanz­lei des Baye­ri­schen Minis­ter­prä­si­den­ten Dr. Wil­helm Hoe­g­ner und wur­de spä­ter Münch­ner Ober­bür­ger­meis­ter und Bun­des­jus­tiz­mi­nis­ter. Über die Arbeits­ge­mein­schaft und pri­va­te Bekannt­schaf­ten konn­te Vogel drei Per­sön­lich­kei­ten zur Unter­stüt­zung des Plans gewin­nen, ein Stu­den­ten­wohn­heim zu bauen: 

  • den Der­ma­to­lo­gen und Rek­tor der LMU, Dr. Alfred Mar­chio­ni­ni,
  • den baye­ri­schen Staats­mi­nis­ter der Jus­tiz, Fritz Koch, und
  • das Vor­stands­mit­glied der dama­li­gen Baye­ri­schen Hypo­the­ken- und Wech­sel­bank, Adolf Eugen Samstag.

Der Ein­la­dung des Komi­tees unter Füh­rung von Alfred Mar­chio­ni­ni folg­ten 28 Per­sön­lich­kei­ten, dar­un­ter Poli­ti­ker, Pro­fes­so­ren, Unter­neh­mer, Gewerk­schaft­ler, Ban­kiers, Ver­le­ger, Schrift­stel­ler, Jour­na­lis­ten und höhe­re Beam­te. Vie­le von ihnen waren pro­mi­nen­te Geg­ner und Ver­folg­te des Natio­nal­so­zia­lis­mus, die meis­ten von ihnen auf­grund ihres sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Enga­ge­ments, weil sie Juden ver­steck­ten oder ihnen bei der Flucht hal­fen. Sie reprä­sen­tie­ren das „ande­re“ Deutsch­land um die Zeit des 2. Weltkrieges.

Bei der Ver­eins­grün­dung wur­den für die fol­gen­den Posi­tio­nen gewählt:

  • zum Vor­sit­zen­den: Prof. Dr. Alfred Mar­chio­ni­ni (s.o.),
  • zu des­sen Stell­ver­tre­ter: Staats­mi­nis­ter Dr. Fritz Koch (s.o.),
  • zu Bei­sit­zern: Adolf Eugen Sams­tag (s.o.) und Erwin Essl, Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter und Bezirks­lei­ter der IG Metall Bay­ern, außer­dem Vor­sit­zen­der der Sozia­lis­ti­schen Arbei­ter­ju­gend in Schwein­furt bis 1933,
  • zum Geschäfts­füh­rer: Dr. Hans-Jochen Vogel (s.o.).

Schirm­herr des Ver­eins wur­de der baye­ri­sche Minis­ter­prä­si­dent Dr. Wil­helm Hoe­g­ner (s.o.).

Die Ver­samm­lung beschloss, einen wei­te­ren Bei­sit­zer im Wege der Zuwahl zu bestim­men, um die Domi­nanz sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Ver­eins­mit­glie­der im Vor­stand auszugleichen.

Die­ser wurde:

  • der Prä­si­dent des Baye­ri­schen Arbeit­ge­ber­ver­ban­des und Mit­glied des Bun­des­ver­ban­des der Deut­schen Indus­trie, Dr. Rolf Rodenstock.
unten: Fotogalerie der führenden Gründungsmitglieder

Wei­te­re Grün­dungs­mit­glie­der waren u.a.:

Auf­fal­lend ist, dass vie­le der Ver­eins- und Vor­stands­mit­glie­der auch per­sön­li­che Bezie­hun­gen zuein­an­der pflegten:

Schirm­herr Wil­helm Hoe­g­ner und der Vater der Geschwis­ter Scholl, Robert Scholl, kann­ten sich per­sön­lich, sie hat­ten ihr Haus in der­sel­ben Stra­ße. Aus der Nach­bar­schaft ent­wi­ckel­te sich eine Freund­schaft, häu­fig besuch­ten sich die Fami­li­en Hoe­g­ner und Scholl gegenseitig.

Des Wei­te­ren war Alfred Mar­chio­ni­ni ein Freund und För­de­rer von Hans-Jochen Vogel, der wie­der­rum den Jus­tiz­mi­nis­ter Koch sehr gut aus sei­ner Tätig­keit ab 1952 als Asses­sor im Jus­tiz­mi­nis­te­ri­um und in der baye­ri­schen Staats­kanz­lei kann­te. Zu Vogels Freun­des­kreis gehör­te auch der Chef­re­dak­teur der baye­ri­schen Staats­zei­tung, Dr. Karl-Heinz Lange.

Die Namensgebung (1956)

Neben der Lin­de­rung der Woh­nungs­not für Stu­die­ren­de gab es für den Bau eines Stu­den­ten­wohn­hei­mes noch ein ande­res Motiv. Der dama­li­ge baye­ri­sche SPD-Vor­sit­zen­de und stell­ver­tre­ten­de Bun­des­vor­sit­zen­de, Wal­de­mar von Knoe­rin­gen, woll­te die SPD von einer Klas­sen­par­tei in eine Volks­par­tei wan­deln, indem er sie u.a. auch für Akademiker/innen wähl­bar machen woll­te. Die Arbeits­ge­mein­schaft Sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Aka­de­mi­ker über­leg­te daher, dass man ein Stu­den­ten­wohn­heim errich­ten könn­te, das für die SPD wer­ben und jun­ge Men­schen, zukünf­ti­ge Akademiker/innen, für die sozia­le Demo­kra­tie begeis­tern sollte.

Die­ser Gedan­ke war für die Namens­ge­bung „Geschwis­ter Scholl“ aus­schlag­ge­bend: Durch die Erin­ne­rung an zwei muti­ge, jun­ge Men­schen, die ihr Leben für Frei­heit und Demo­kra­tie opfer­ten, soll­te die aktu­el­le Stu­die­ren­den­ge­ne­ra­ti­on zum Enga­ge­ment für die Wer­te der Demo­kra­tie und des Grund­ge­set­zes moti­viert wer­den. Des­halb such­te die Arbeits­ge­mein­schaft den Kon­takt zu Robert Scholl, dem Vater der Geschwis­ter Scholl, und erhielt des­sen Zustim­mung zur Namens­ge­bung. Geför­dert wur­de die­se Ent­schei­dung sicher­lich auch durch die Freund­schaft, die den Schirm­herrn Hoe­g­ner mit Robert Scholl verband.

Eröffnung von Haus 1 und Enthüllung des Denkmals (1956 bis 1960)

Dem Ver­eins­vor­sit­zen­den Alfred Mar­chio­ni­ni und den ande­ren pro­mi­nen­ten Mit­strei­tern gelang es, durch eige­nes gutes Bei­spiel und ver­mö­gend ihrer guten Ver­bin­dun­gen, in nur zwei Jah­ren das nöti­ge Eigen­ka­pi­tal über Spen­den­wer­bung zu bil­den, um staat­li­che Hil­fen und Bank­kre­di­te zum Bau des ers­ten Hau­ses bean­tra­gen zu kön­nen. Nach Aus­wahl des Archi­tek­ten Wer­ner Wir­sing, etwas mehr als ein­jäh­ri­ger Bau­zeit und dem Ein­zug der ers­ten Stu­die­ren­den wur­de Haus 1 am 7. Janu­ar 1960 eröff­net. 144 bezahl­ba­re Wohn­plät­ze waren entstanden.

Bei der Eröff­nungs­re­de von Dr. Hans-Jochen Vogel waren neben wei­te­ren pro­mi­nen­ten Gäs­ten anwe­send: das Ehe­paar Hoe­g­ner, Robert Scholl, Prof. Dr. Theo­dor Maunz (von 1957–1964 baye­ri­scher Kul­tus­mi­nis­ter), Prof. Dr. Max Kneissl (Rek­tor der TUM), Prof. Dr. Egon Wiberg (Pro­rek­tor der LMU), Tho­mas Wim­mer (Mün­chens Ober­bür­ger­meis­ter), das Ehe­paar Wir­sing, Mat­hil­de Mar­chio­ni­ni, Hans Deme­ter (Vor­stands­vor­sit­zen­der der Münch­ner SPD) und Man­fred Schmidt (stell­ver­tre­ten­der Bun­des­vor­sit­zen­der des SDS).

„Die Bun­des­re­pu­blik wird in die­sen Tagen durch eine Wel­le anti­se­mi­ti­scher und neo­na­zis­ti­scher Schmie­re­rei­en beun­ru­higt. Gera­de das soll­te uns Anlass sein, uns mit aller Deut­lich­keit zu den Opfern des Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ner Gräu­el zu beken­nen. Ich glau­be, Herr Ober­bür­ger­meis­ter Scholl, es hat so gese­hen einen tie­fen Sinn, dass wir unse­rem Haus gera­de in die­sen Tagen den Namen Ihrer, von einem ver­ab­scheu­ungs­wür­di­gen Sys­tem ermor­de­ten, Kin­der geben.“

Hans Jochen Vogel 1960
Dr. Hans-Jochen Vogel mit seiner Frau bei der Gedenkstunde zur Enthüllung des Denkmals.

Dr. Hans-Jochen Vogel, Aus­schnitt aus der Anspra­che zur Eröff­nung des Scholl­heims am 7. Janu­ar 1960

Die Rede von Dr. Hans-Jochen Vogel hat nichts von ihrer dama­li­gen Aktua­li­tät ver­lo­ren. Das Stu­den­ten­wohn­heim soll­te Ort der Erin­ne­rung und Mah­nung für die Zukunft sein. Der Ver­ein beschloss des­halb, ein Denk­mal für die ermor­de­ten Geschwis­ter Scholl zu errich­ten und einen Wett­be­werb dafür aus­zu­schrei­ben. Der Ent­wurf der Bild­haue­rin Chris­ti­ne Stad­ler wur­de prä­miert und rea­li­siert. Das Denk­mal gehört zu den bekann­tes­ten Wer­ken der Künst­le­rin. Finan­ziert wur­de es durch eine Spen­de über 1 500 DM der IG Metall Bayern.

Zur Ent­hül­lung des Denk­mals am 17. Febru­ar 1962 sprach der His­to­ri­ker und das Ver­eins­mit­glied Prof. Dr. Alex­an­der Schenk Graf von Stauf­fen­berg, Bru­der von Claus von Stauf­fen­berg, u.a. folgendes:

Am Denkmal (v.l.): Vereinsvorstand Prof. Dr. Marchionini und Prof. Dr. Alexander Graf von Stauffenberg
Am Denkmal (v.l.): Vereinsvorstand Prof. Dr. Marchionini und Prof. Dr. Alexander Graf von Stauffenberg

„Denn gera­de das scheint mir das eigent­li­che Geheim­nis ihres Opfer­gangs und ihres schwe­ren und stol­zen Ster­bens, heu­te vor 19 Jah­ren, der Sinn ihres ihnen in der Blü­te der Jugend auf­er­leg­ten schwe­ren und selbst­ge­wähl­ten Weges gewe­sen zu sein, was in einem Wor­te, „Ent­süh­nung“, aus­ge­drückt ist: dass sie uns ande­ren, die wir zu tau­sen­den und aber­tau­sen­den das Unheil durch Klein­mut und Feig­heit, durch Duld­sam­keit und Gesche­hen­las­sen, mit­ver­bro­chen haben, die befleck­te Erde gerei­nigt und die ver­lo­re­ne Selbst­ach­tung zurück­ge­ge­ben haben.“

Viel Pro­mi­nenz war im Saal zur Fei­er der Denk­mal­sent­hül­lung erschie­nen. Der Ver­eins­vor­sit­zen­de Prof. Dr. Alfred Mar­chio­ni­ni konn­te u.a. Dr. Wil­helm Hoe­g­ner, Mün­chens Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Hans-Jochen Vogel, Robert Scholl und Erwin Essl, als Ver­tre­ter der IG Metall, begrüßen.

Neben dem Ver­eins­vor­sit­zen­den Prof. Dr. Alfred Mar­chio­ni­ni war der Geschäfts­füh­rer des Ver­eins, Dr. Hans-Jochen Vogel, wei­te­re trei­ben­de Kraft bei der Ver­eins­grün­dung, der Spen­den­wer­bung und beim Bau von Haus 1. Im Jahr 1960 wur­de er, damals gera­de erst 34 Jah­re alt, zum Ober­bür­ger­meis­ter der Lan­des­haupt­stadt Mün­chen gewählt.

Bildergalerie zur Enthüllungsfeier des Denkmals der Geschwister Scholl von Christine Stadler am 17. Februar 1962

Geschäftsführung unter Robert Jenisch (1960 bis 2016)

unten: Fotogalerie der Vereinsvorsitzenden

Da Dr. Vogel nun die Geschäf­te des Ver­eins nicht wei­ter­füh­ren konn­te, muss­te der Ver­ein jemand Neu­en für die­se Auf­ga­be aus­wäh­len. Der Blick fiel dabei auf Robert Jenisch, beruf­lich Jurist, der als jun­ger Stu­dent des SDS bereits von der ers­ten Stun­de an Mit­glied des Ver­eins war. Wäh­rend der Grün­dungs­zeit war er maß­geb­lich an den Vor­be­rei­tun­gen für den Bau von Haus 1 betei­ligt gewe­sen und hat­te schon län­ger die Geschäfts­füh­rung tat­kräf­tig unter­stützt. Er wur­de im Dezem­ber 1960 von der Mit­glie­der­ver­samm­lung zum Nach­fol­ger Vogels als Geschäfts­füh­rer des Ver­eins gewählt. Sogleich begann er mit der Spen­den­wer­bung für Haus 2, des­sen Pla­nung und Bau­durch­füh­rung. Bereits vier Jah­re nach der Eröff­nung des Stu­den­ten­wohn­heims Geschwis­ter Scholl mit Haus 1 konn­te Anfang 1964 der Erwei­te­rungs­bau auf dem benach­bar­ten Rui­nen­grund­stück mit 98 wei­te­ren Zim­mern bezo­gen werden.

Der Ver­eins­vor­sit­zen­de Prof. Dr. Alfred Mar­chio­ni­ni erleb­te noch die Fer­tig­stel­lung von Haus 2, konn­te sich aller­dings an den Erfol­gen des Ver­eins lei­der nicht lan­ge erfreu­en. Er starb am 6. April 1965 im Alter von nur 66 Jahren.

Zu sei­nem Nach­fol­ger wähl­te die Mit­glie­der­ver­samm­lung des Ver­eins den Bio­che­mi­ker Feo­dor Lynen, damals Direk­tor des Max-Planck-Insti­tuts für Zell­che­mie in Mar­tins­ried bei Mün­chen. Es ist bewun­derns­wert, dass sich der Nobel­preis­trä­ger für Medi­zin neben sei­nen zahl­rei­chen ande­ren Ehren­äm­tern und Mit­glied­schaf­ten in wis­sen­schaft­li­chen Gre­mi­en und Gesell­schaf­ten auch noch die­ser Auf­ga­be stell­te. Er starb am 6. August 1979 im Alter von 68 Jahren.

Nach ihm über­nahm der Phy­si­ker Edgar Lüscher, Ordi­na­ri­us für Expe­ri­men­tal­phy­sik an der TUM, den Vor­sitz des Ver­eins. Obwohl er durch sei­ne For­schungs­ar­beit auf dem Gebiet der Fest­kör­per­phy­sik sowie durch den Auf­bau des Phy­sik­de­part­ments in Gar­ching stark aus­ge­las­tet war, nahm er sich die nöti­ge Zeit für die Erfül­lung der Ver­eins­auf­ga­ben. Auch Pro­fes­sor Lüscher war bedau­er­li­cher­wei­se kein hohes Alter beschie­den, er starb am 16. Janu­ar 1990 im Alter von 64 Jahren.

Als Nach­fol­ger von Pro­fes­sor Lüscher für den Ver­eins­vor­sitz gelang es dem Ver­ein, den bekann­ten Der­ma­to­lo­gen Pro­fes­sor Dr. med. Dr. phil. Sieg­fried Borel­li zu gewin­nen. Er war Ordi­na­ri­us und Direk­tor-Eme­ri­tus der Kli­nik und Poli­kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und All­er­go­lo­gie der TUM und Ärzt­li­cher Direk­tor der Kli­nik für Der­ma­to­lo­gie und All­er­go­lo­gie Davos (Alex­an­der­haus­kli­nik). Pro­fes­sor Borel­li, ein ehe­ma­li­ger Schü­ler und ärzt­li­cher Mit­ar­bei­ter von Pro­fes­sor Mar­chio­ni­ni, betrach­te­te es von Anfang an als sei­ne Ver­pflich­tung, sich dem Werk sei­nes aka­de­mi­schen Leh­rers mit gro­ßem Enga­ge­ment zu widmen.

Geschäfts­füh­rer Robert Jenisch hat­te neben sei­nem Enga­ge­ment bei der Ver­eins­grün­dung und dem Bau von Haus 1 und Haus 2 fer­ner wesent­li­chen Anteil am Bau des drit­ten Bau­ab­schnitts „Haus 3“. Die­ser beher­bergt Apart­ments und wur­de im Okto­ber 2019 bezugs­fer­tig. Die Geneh­mi­gun­gen der Bau- und Finanz­pla­nung fan­den noch zu sei­nen Leb­zei­ten statt. Die Fer­tig­stel­lung von Haus 3 konn­te er nicht mehr mit­er­le­ben, starb er doch im Okto­ber 2016 im Alter von 85 Jah­ren, nach 56 Jah­ren ehren­amt­li­cher Geschäfts­füh­rung des Ver­eins. Wie kein ande­rer hat er mit Ener­gie und Lei­den­schaft für sein Stu­den­ten­heim Erfolg gehabt, gekämpft und gelebt.

Erstbezug von Haus 3 und zukünftige Sanierungen (2016 – heute)

Fotogalerie der Geschäftsführer des Vereins

Nach dem Tod von Robert Jenisch muss­te umge­hend ein neu­er Geschäfts­füh­rer gewählt wer­den, der sich um die Zukunft des Baus von Haus 3 küm­mer­te. Der Tod von Robert Jenisch kam über­ra­schend, aber er hat­te bereits einen Nach­fol­ger auf sei­ne Auf­ga­ben vor­be­rei­tet. Des­halb konn­te der Ver­eins­vor­stand Tho­mas Knappstein zum Nach­fol­ger in die Geschäfts­füh­rung wäh­len. Jenisch kann­te Knappstein aus der gemein­sa­men Arbeit bei der Bau­be­rufs­ge­nos­sen­schaft, auf sei­nen Vor­schlag war er 2012 als Bei­sit­zer in den Vor­stand gewählt wor­den. Das waren gute Vor­aus­set­zun­gen, um aus dem Stand her­aus neben den lau­fen­den Geschäf­ten des Ver­eins auch die Auf­sicht über den Bau von Haus 3 und die Vor­be­rei­tun­gen für geplan­te Sanie­rungs­ar­bei­ten an Haus 1 und 2 zu über­neh­men. Mit dem Abschluss der Bau­ar­bei­ten von Haus 3 trat Tho­mas Knappstein wegen sei­ner zeit­li­chen Belas­tung als Füh­rungs­kraft in der Berufs­ge­nos­sen­schaft im März als Geschäfts­füh­rer zurück.

Der Vor­stand berief Fried­rich Graf­fe, den stell­ver­tre­ten­den Vor­sit­zen­den des Ver­eins, zunächst kom­mis­sa­risch, zu sei­nem Nach­fol­ger. Er ist bereits Geschäfts­füh­rer der Alfred und Karl Mar­chio­ni­ni-Stif­tung.

Der lang­jäh­ri­ge Ver­eins­vor­sit­zen­de Prof. Dr. Dr. Sieg­fried Borel­li trat alters­be­dingt zum Ende der Mit­glie­der­ver­samm­lung im Janu­ar 2020 als Vor­stands­vor­sit­zen­der zurück. Auf­grund sei­ner Ver­diens­te um Heim und Ver­ein beschloss die Mit­glie­der­ver­samm­lung ein­stim­mig, Prof. Borel­li den Ehren­vor­sitz des Ver­eins anzutragen.

Zum neu­en Vor­stands­vor­sit­zen­den wur­de der His­to­ri­ker und Medi­en­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Peter von Rüden gewählt. Er war Direk­tor des Adolf-Grim­me-Insti­tuts, Haupt­ab­tei­lungs­lei­ter für Bil­dung und Kul­tur beim NDR-Fern­se­hen und Lei­ter der For­schungs­stel­le zur Rund­funk­ge­schich­te des Leib­nitz-Insti­tuts für Medi­en­for­schung und der Uni­ver­si­tät Ham­burg am Insti­tut für Neue­re Deut­sche Lite­ra­tur und Medi­en­kul­tur. Von 1969 bis 1972 war er Tutor im Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl und seit 2017 Bei­sit­zer im Vereinsvorstand.

60 Jahre Schollheim und Eröffnungsfeier von Haus 3: Erinnerungen für die Zukunft (2020)

Wir, Ver­ein und Wohnheimsbewohner/innen, sind stolz dar­auf, dass die Geschich­te unse­res Ver­eins, und damit auch die des Wohn­heims, fort­ge­schrie­ben wird. Über deren Zukunft wur­de auf der Jubi­lä­ums­fei­er zu 60 Jah­ren Scholl­heim und der offi­zi­el­len Eröff­nung von Haus 3 aus­führ­lich abge­han­delt. Anknüp­fend an die Geschich­te des Scholl­heims for­mu­lier­ten Mün­chens Ober­bür­ger­meis­ter, Die­ter Rei­ter, der ers­te Geschäfts­füh­rer unse­res Ver­eins, Dr. Hans-Jochen Vogel, und unser Ver­eins­vor­sit­zen­der, Prof. Dr. Peter von Rüden, Gedan­ken und Wün­sche für die Zukunft.

Prof. Dr. von Rüden reka­pi­tu­lier­te die Geschich­te unse­res Ver­eins und for­mu­lier­te in Bezug auf die Gegen­wart fol­gen­den Gedanken:

„Für mich ist [die] Abrech­nung [unse­res ers­ten Schirm­her­ren Wil­helm Hoe­g­ners] mit dem Ver­sa­gen der Demo­kra­ten vor dem Ende der Wei­ma­rer Repu­blik mit dem Titel „Flucht vor Hit­ler: Erin­ne­run­gen an die Kapi­tu­la­ti­on der ers­ten deut­schen Repu­blik 1933“ von gro­ßer Aktua­li­tät, schil­dert es doch die inne­re, schlei­chen­de Auf­lö­sung einer Demo­kra­tie. Poin­tiert for­mu­liert: Hoe­g­ner lie­fert die Bele­ge dafür, dass in der Dik­ta­tur auf­wacht, wer in der Demo­kra­tie schläft.“

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Prof. Dr. von Rüden während seiner Reder zum 60-jährigen Jubiläum

An die Geschwis­ter Scholl erin­ner­te Dr. Hans-Jochen Vogel in sei­ner Rede und appellierte:

„Noch wich­ti­ger [als das inter­na­tio­na­le Ken­nen­ler­nen] war aber ein ande­rer Kon­takt all‘ die­ser Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner[,] [n]ämlich der mit den Geschwis­tern Scholl, deren Namen sie ja täg­lich begeg­ne­ten. Sie stan­den also in stän­di­gem Kon­takt mit zwei Men­schen, die in einem nicht ganz ein­fa­chen Pro­zess den ver­bre­che­ri­schen Cha­rak­ter des dama­li­gen Regimes erkann­ten, dann dazu auf­rie­fen, ihm Wider­stand zu leis­ten und dafür schließ­lich ihr Leben opfer­ten. Men­schen, die eine Gesell­schafts­ord­nung anstreb­ten, die auf Wer­ten beruh­te, den Men­schen Frei­heit gewähr­te und den Frie­den woll­te.
Des­halb ist die Erin­ne­rung an Hans und Sophie Scholl auch eine Auf­for­de­rung, den Angrif­fen auf die­se Wer­te und unse­re Demo­kra­tie, an denen es ja gegen­wär­tig wahr­lich nicht man­gelt, ent­schie­den entgegenzutreten.“

dieterreiterredeeroeffnungsfeier
Oberbürgermeister Dieter Reiter während seiner Reder zum 60-jährigen Jubiläum

Ober­bür­ger­meis­ter Die­ter Rei­ter beton­te in sei­ner Fest­re­de die Ver­bun­den­heit aller Münch­ner Ober­bür­ger­meis­ter mit dem Stu­den­ten­wohn­heim, das den Namen der Geschwis­ter Scholl tra­ge. Die Not­wen­dig­keit, Ras­sis­mus, Dis­kri­mi­nie­rung und Anti­se­mi­tis­mus zu bekämp­fen, sei wie­der aktu­ell gewor­den. Ent­wick­lun­gen, die in Mün­chen zwar noch über­schau­bar sei­en, aber – so Rei­ter: „Wir wol­len das in unse­rer Stadt nie wiedersehen”.

Mit der Rede von Die­ter Rei­ter spannt sich der För­de­rungs­bo­gen für das Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V. vom ers­ten Münch­ner Ober­bür­ger­meis­ter nach dem 2. Welt­krieg, Tho­mas Wim­mer, bis hin zum jet­zi­gen. Das macht deut­lich, dass unser Stu­den­ten­wohn­heim nicht irgend­eins von vie­len, son­dern eine Münch­ner Beson­der­heit ist. Um das zu blei­ben, und auch in Zukunft unse­rem Grün­dungs­ge­dan­ken und unse­ren Namens­ge­bern gerecht zu wer­den, ist es für uns wich­tig, auch in Zukunft mehr zu sein als ein nor­ma­les Stu­den­ten­wohn­heim: näm­lich ein Ort, an dem über Poli­tik, Zeit­ge­schich­te, Lite­ra­tur und Kunst debat­tiert wird.