Wir trauern um Hans-Jochen Vogel
Nachruf für unseren Vereinsmitbegründer, Münchner Oberbürgermeister sowie Vorsitzenden der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion Hans-Jochen Vogel

Nachruf für unseren Vereinsmitbegründer, Münchner Oberbürgermeister sowie Vorsitzenden der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion Hans-Jochen Vogel

Der Jurist Dr. Hans-Jochen Vogel war Refe­rent in der Staats­kanz­lei von Bay­erns Minis­ter­prä­si­dent Dr. Wil­helm Hoe­g­ner. Er war 30 Jah­re alt, sei­ne Auf­ga­be war die Sich­tung aller baye­ri­schen Geset­ze mit dem Ziel der Abschaf­fung über­flüs­si­ger Bestim­mun­gen. Vogel kam poli­tisch aus dem Sozia­lis­ti­schen Deut­schen Stu­den­ten­bund (SDS), der SPD. Er enga­gier­te sich für die Reform der Par­tei, will den Wan­del von der rei­nen Arbei­ter­par­tei zur mehr­heits­fä­hi­gen Volks­par­tei beför­dern. Der baye­ri­sche SPD Vor­sit­zen­de und Vor­den­ker der Gesamt­par­tei, Wal­de­mar von Knoe­rin­gen hat Vogel für diessn Plan gewon­nen und Minis­ter­prä­si­dent Hoe­g­ner unter­stützt die Plä­ne. Ein Teil des Kon­zep­tes war die Gewin­nung von Aka­de­mi­kern als Mit­glie­der und Wäh­ler und die Erhö­hung der Chan­cen für ein Stu­di­um von Arbeiterkindern. 

Mit einem Stu­den­ten­wohn­heim soll­te das beför­dert wer­den. In der Arbeits­ge­mein­schaft Sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Aka­de­mi­ker, gegrün­det unter maß­geb­li­cher Betei­li­gung von Bay­erns Jus­tiz­mi­nis­ter Dr. Fritz Koch (SPD) und dem Rek­tor der LMU MÜN­CHEN, Prof. Mar­chio­ni­ni, soll die­se Idee mit Hil­fe eines Ver­eins ver­wirk­licht wer­den. Vogel gelingt die Ver­eins­grün­dung 1956. Neben Fritz Koch, Mar­chio­ni­ni und dem Schirm­herrn Hoe­g­ner fin­det er kraft­vol­le Unter­stüt­zer: Egon Anton Sonn­tag (Vor­stand Hypo­bank), Rudolf Roden­stock (Bun­des­ver­band der Deut­schen Indus­trie) und der Bezirks­lei­ter der IG Metall und Land­tags­ab­ge­ord­ne­te Erwin Essl. Die Mit­glie­der­lis­te ent­hält die Namen pro­mi­nen­ter Nazi­geg­ner, Emi­gran­ten und poli­tisch ver­folg­ter Sozialdemokraten. 

Vogel konn­te bereits mit einer Rede für den erkrank­ten Vor­sit­zen­den Mar­chio­ni­ni als Geschäfts­füh­rer des Ver­eins am 7.1. 1960 das Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl eröff­nen. Noch ist er nicht Mün­chens Oberbürgermeister.

Die ers­ten Bewoh­ner zie­hen Ende 1959 in das Stu­den­ten­wohn­heim ein. Sie sol­len Vogel bei sei­ner Wahl­wer­bung kräf­tig unter­stützt haben, so berich­tet es jeden­falls der lang­jäh­ri­ge Vor­sit­zen­de des Ver­eins, Prof. Borel­li, der damals wis­sen­schaft­li­cher Assis­tent von Mar­chio­ni­ni war. Es wur­den tau­sen­de von Wahl­brie­fen für den SPD Kan­di­da­ten Vogel im Scholl­heim ver­sand­fer­tig  gemacht, die Adres­sen wur­den dem Tele­fon­buch ent­nom­men. Die Aus­wahl­kri­te­ri­en waren wohl aka­de­mi­sche Berufs­be­zeich­nun­gen und Titel. Wel­chen Ein­fluss die Schol­lis auf den Wahl­aus­gang hat­ten, wis­sen wir nicht. Aber aus dem Geschäfts­füh­rer unse­res Ver­eins war Mün­chens Ober­bür­ger­meis­ter gewor­den. Er blieb auch als Ober­bür­ger­meis­ter bis 1962 unser Geschäfts­füh­rer, lei­te­te das ope­ra­ti­ve Geschäft an Robert Jenisch über, man kann­te und schätz­te sich aus SDS und Arbeits­ge­mein­schaft Sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Aka­de­mi­ker. Ver­folgt man die his­to­ri­schen Akten des Ver­eins, so fin­det man lücken­los von 1956 bis zum Tod die Spu­ren eines beson­de­ren Ver­hält­nis­ses von Hans- Jochen Vogel zu „sei­nem” Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl.

Auch zum Bau von Haus 3, das erst in die­sem Jahr eröff­net wur­de, hat Hans-Jochen Vogel bei­getra­gen: Auf Bit­ten von Robert Jenisch hat der klu­ge Jurist und erfah­re­ne Poli­ti­ker Vogel den Bau­an­trag beglei­tet. Vogel war ein Sozi­al­de­mo­krat, der die Grund­wer­te der sozia­len Demo­kra­tie nicht nur gepre­digt son­dern auch gelebt hat. 

Weni­ge Mona­te vor sei­nem Tode wur­de sei­ne auch emo­tio­na­le Bin­dung an unser Stu­den­ten­wohn­heim noch ein­mal deut­lich: Hans-Jochen rief mich an und bat um die Namen von zwei Heim­be­woh­nern,  die ihm beim Ord­nen sei­nes poli­ti­schen Nach­las­ses hel­fen soll­ten. Die Vor­schlä­ge konn­te ich noch über­mit­teln, zur Rea­li­sie­rung ist es nicht mehr gekom­men. Wir ver­nei­gen uns vor einen gro­ßen Nach­kriegs­po­li­ti­ker, enga­gier­ten Demo­kra­ten und Demo­kra­ti­schen Sozia­lis­ten.  Er war Ehren­mit­glied unse­res Vereins. 

In Geden­ken,

Peter von Rüden

Vor­stands­vor­sit­zen­der des Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl e.V.

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