Gedenkveranstaltung Werner Wirsing

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Am Don­ners­tag den 6. Juni fand die Ver­an­stal­tung “Wer­ner Wir­sing zu Ehren” zum 100. Geburts­tag des Archi­tek­ten, der unser Stu­den­ten­wohn­heim Geschwis­ter Scholl 1959 ent­warf. Wer­ner Wir­sing gilt als einer der bedeu­tends­ten Archi­tek­ten der deut­schen Nach­kriegs­mo­der­ne und sein Leben als Archi­tekt war geprägt von viel­fäl­ti­gem kul­tu­rel­lem und poli­ti­schem Enga­ge­ment. Wir­sing war unter ande­rem Lan­des­vor­sit­zen­der des Bun­des Deut­scher Archi­tek­ten (BDA), Vor­sit­zen­der im Werk­bund Bay­ern, Mit­glied der Ver­tre­ter­ver­samm­lung der Baye­ri­schen Archi­tek­ten­kam­mer und Vor­sit­zen­der des Aus­schus­ses für visu­el­le Gestal­tung der Olym­pi­schen Spie­le 1972. Außer­dem über­nahm er unter­schied­li­che Dozen­ten­tä­tig­kei­ten der Hoch­schu­le für Gestal­tung in Ulm, an der Aka­de­mie der Bil­den­den Küns­te Mün­chen und anschlie­ßend für mehr als 20 Jah­re an der heu­ti­gen Hoch­schu­le Mün­chen, wo er 1991 zum Hono­rar­pro­fes­sor ernannt wur­de. Eine sei­ner wich­tigs­ten Aus­zeich­nun­gen war der För­der­preis für Archi­tek­tur der Lan­des­haupt­stadt Mün­chen 1958 oder der Baye­ri­sche Archi­tek­tur­preis für sein Lebens­werk im Jahr 2007. Der Gedenk­abend für Wer­ner Wir­sing zu des­sen 100. Geburts­tag wur­de von dem Ver­ein Geschwis­ter Scholl e.V. und die Alfred und Karl Mar­chio­ni­ni Stif­tung orga­ni­siert. Unter der Mode­ra­ti­on von Prof. Dr. Peter von Rüden, umfass­te das Pro­gramm unter­schied­li­che Vor­trä­ge, die im Anschluss in einer offe­nen Dis­kus­si­ons­run­de ende­ten. Als ers­tes durf­ten wir Dr. Wolf­gang Jean Stock begrü­ßen, Archi­tek­tur­his­to­ri­ker und Jour­na­list, der auch Wer­ner Wir­sing per­sön­lich kann­te. Herr Stock erzähl­te aus per­sön­li­cher Sicht, wie sich Wer­ner Wir­sing als Archi­tekt beson­ders mit der Fra­ge beschäf­tig­te, ob und wie Archi­tek­tur gemein­sa­mes, sozia­les Han­deln för­dern und unter­stüt­zen könn­te. Wir­sing wur­de unmit­tel­bar nach dem Stu­di­en­ab­schluss Lei­ter des Bau­bü­ros des Baye­ri­schen Jugend­so­zi­al­werks, wel­ches in ganz Deutsch­land Stu­den­ten­wohn­hei­me und Bil­dungs­bau­ten errich­te­te. Er gilt in Deutsch­land als ein wich­ti­ger Expe­ri­men­ta­tor auf dem Gebiet des ‚stu­den­ti­schen Woh­nens’, ein Kon­zept, wel­ches zu Wir­sings Zei­ten nicht selbst­ver­ständ­lich war. Bei der Vor­stel­lung der Pro­jek­te wur­de klar, wie sich Wir­sing in sei­nen unter­schied­li­chen Ent­wür­fen der Fra­ge nach “Indi­vi­dua­li­tät und Gemein­schaft im Ein­klang” wid­me­te. Vie­le sei­ner Pro­jek­te sind heut­zu­ta­ge in Mün­chen noch sehr bekannt, beson­ders unter Stu­den­ten. Das Geschwis­ter-Scholl­heim, das Mar­chio­ni­ni Wohn­heim, die Bun­ga­lows im olym­pi­schen Dorf und die im Maß­mann­park ein­ge­bet­te­te Wohn­heim­sied­lung, wel­che als Pio­nier­bau des moder­nen sozia­len Bau­ens gilt und heu­te unter Denk­mal­schutz steht. Stu­den­ten aus dem Geschwis­ter Scholl und die Alfred und Karl Mar­chio­ni­ni Stif­tung erzähl­ten über ihre eige­nen Erfah­run­gen als Bewoh­ner in Wer­ner Wir­sings Stu­den­ten­wohn­hei­me. Das Geschwis­ter Scholl­heim wur­de als ein gemein­schaft­li­ches Wohn­kon­zept ent­wi­ckelt. Neben geteil­ten Toi­let­ten und Duschen steht eine gro­ße Gemein­schafts­kü­che auf jedem Flur, wel­ches als wich­ti­ger Treff­punkt und Haupt­auf­ent­halts­ort der Stu­den­ten dient. Dabei gibt es auch ande­re Gemein­schafts­räu­me, die als Lern‑, Musik oder Sport­räu­me die­nen. Im Kon­trast zu den gro­ßen Gemein­schafts­räu­men ste­hen die eher klei­ner geschnit­te­nen Zim­mer, in denen die Stu­den­ten einen Rück­zugs­ort fin­den und wel­che trotz der klei­nen Flä­che den Platz­an­for­de­run­gen eines Stu­den­ten ent­spre­chen. Anhand von Fotos und Erzäh­lun­gen wur­de bespro­chen wie sich die Stu­den­ten die Räu­me aneig­nen und einen eige­nen Cha­rak­ter auf jedem Flur ver­schaf­fen, obwohl die Zim­mer und Küchen auf jedem Geschoss gleich aus­se­hen und aus­ge­stat­tet sind. Dabei blei­ben die Spu­ren der Zeit, die Spu­ren alter Mit­be­woh­ner sicht­bar, was dem Wohn­heim ein beson­de­res Flair ver­leiht. Ande­rer­seits erklär­ten auch die Bewoh­ner des Mar­chio­ni­ni Wohn­heims, wie sich die Gemein­schaft in einem Wohn­heim mit Ein­zel­a­part­ments ent­fal­tet. Das Gebäu­de des Mar­chio­ni­ni Wohn­heims zeich­net sich durch die beson­de­re Geo­me­trie des Grund­ris­ses aus. Es besteht aus meh­re­ren zusam­men­ge­füg­ten Hexa­go­nen, die span­nen­de Raum­kon­stel­la­tio­nen erzeu­gen. Die Archi­tek­tur des Wohn­hei­mes wird auch von den Stu­den­ten sehr geschätzt, beson­ders im Som­mer orga­ni­sie­ren die Stu­den­ten ger­ne Ver­an­stal­tung­en auf ihre Dach­ter­ras­se. Zum Ende die­ses Jah­res wird der Erwei­te­rungs­bau ‘Haus 3’ des Geschwis­ter-Scholl-Heims am Stei­ni­cke­weg 7 nach Plä­nen von Eber­hard Stei­nert eröff­net. Im Rah­men die­ser Eröff­nung, durf­ten wir auch bei der Ver­an­stal­tung mehr über Haus 3 erfah­ren. Stei­nert ist Archi­tekt in Gar­misch-Par­ten­kir­chen und stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der des Bun­des Deut­scher Archi­tek­ten (BDA) in Bay­ern. Erklärt wur­de wie die neu­en 55 Zim­mer aus­se­hen wer­den, die dafür aus­ge­wähl­ten Farb­kon­zep­te und wie die Vor­ga­ben des Brand­schut­zes und Bar­rie­re­frei­heit die Gestal­tung der Grund­ris­sen beeinflussten. 

Im Anschluss zu den Vor­trä­gen wur­de Haus 3 in offe­ner Run­de dis­ku­tiert. Da sich der Neu­bau unmit­tel­bar an die bestehen­den Gebäu­de anschließt, führ­te es von Anfang an zu unver­meid­li­chen Unbe­quem­lich­kei­ten, die aber für vie­le aktu­el­le Bewoh­ner nicht nur mit den Umbau­ten und der Laut­stär­ke zu tun hat­ten. Die neu­en Zim­mer in Haus drei wur­den als Ein­zel­a­part­ments kon­zi­piert – mit eige­ner Küchen­ni­sche und Bad. Neue Gemein­schafts­räu­me wur­den dabei nicht in der Pla­nung inte­griert. Die­ser Aspekt sorg­te für Sor­gen zwi­schen aktu­el­len Bewoh­nern des Wohn­heims und für eine kon­tro­ver­se Dis­kus­si­on im Rah­men der Ver­an­stal­tung. Es wird gefürch­tet, dass die neu­en Bewoh­ner von Haus 3 sich nicht voll­stän­dig in die Gemein­schaft des Wohn­heims inte­grie­ren wer­den. Ein Phä­no­men, wel­ches lei­der von vie­len ande­ren Stu­den­ten­wohn­hei­men bekannt ist. Der ‘AK Scholl­heim 2020’ ist eine Grup­pe von Stu­den­ten die sich im Zuge des Baus von Haus 3 zusam­men getan hat, um sich mit den Ver­än­de­run­gen durch den Neu­bau zu beschäf­ti­gen. For­de­rung des AK Scholl­heims ist die voll­stän­di­ge Inte­gra­ti­on der neu­en Apart­ments in die bestehen­den Flu­re. Der Vor­schlag, wel­cher bei der Ver­an­stal­tung prä­sen­tiert wur­de, schlägt vor, die Bewoh­ner von Haus 3 orga­ni­sa­to­risch auf die anlie­gen­den alten Flu­re auf­zu­tei­len. Haus 3 hät­te dabei kei­ne eigen­stän­di­ge Ver­wal­tung, son­dern wür­de mit in die Ver­wal­tung von Haus 1 und 2 inte­griert wer­den. Dies soll gewähr­leis­ten, dass die neu­en Bewoh­ner sich die bestehen­den Gemein­schafts­flä­chen nut­zen kön­nen, dabei auch Ver­ant­wor­tun­gen und Mit­spra­che­recht über­neh­men und sich des­we­gen nicht nur als Gäs­te in den bestehen­den Küchen füh­len. Wer­ner Wir­sing starb am 29. Juli im Alter von 98 Jah­ren in Mün­chen. Als Mensch ist er für sein sozia­les Enga­ge­ment zu bewun­dern; als Archi­tekt für das erzeug­te Zusam­men­spiel von >ein­sam und gemein­sam< in sei­nen Ent­wür­fen. Die Ver­an­stal­tung zeig­te wie sei­ne Archi­tek­tur heut­zu­ta­ge noch das Leben der Stu­den­ten beein­flusst und wie die Stu­den­ten die­se Wohn­hei­me erle­ben, bele­ben und wert­schät­zen. Wir­sings Ent­wurf für die Wohn­ein­hei­ten des Olym­pi­schen Dor­fes zeigt zum Bei­spiel, dass Ein­zel­a­part­ments nicht Ant­onym von Gemein­schaft sein müs­sen, wenn bei der Pla­nung genug Wert auf die Attrak­ti­vi­tät und Gestal­tung der Gemein­schafts­räu­me gelegt wird. Inso­fern war die Ver­an­stal­tung eine gute Gele­gen­heit die Wer­te Wer­ner Wir­sings auf­zu­fri­schen und eine kon­struk­ti­ve Dis­kus­si­on dar­über anzu­fan­gen. Eine wich­ti­ge Schluss­fol­ge­rung der Ver­an­stal­tung war jedoch, dass ein Wohn­heim vor allem davon lebt, dass sei­ne Bewoh­ner sich als Teil einer Gemein­schaft ver­ste­hen und sich in die­ser aktiv enga­gie­ren. Not­wen­di­ge Indi­vi­dua­li­tät und wün­schens­wer­te Gemein­schaft in Ein­klang zu brin­gen ist nicht ein­fach und obwohl die Archi­tek­tur eines Wohn­hei­mes die Gemein­schaft för­dern kann, kann sie nicht nur über Archi­tek­tur erzeugt wer­den. Die Initia­ti­ve der Stu­den­ten des ‘AKA Scholl­heim 2020’ wird des­we­gen sehr geschätzt, denn nur das akti­ve Enga­ge­ment der Bewoh­ner kann dafür sor­gen, dass die Gemein­schaft in unse­rem Wohn­heim erhal­ten bleibt. 

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